Nachlese 5.2. 2016
Ein Abend mit Professor R. Mokrosch
über Fragen zum „Weltethos“ Jürgen Staas
Kann es eine
globale, internationale, überregionale,
interreligiöse Ethik überhaupt geben?
Wäre sie vorwiegend westlich,
durch Vernunft und Aufklärung bestimmt?
Welche Rolle würden östliche Traditionen spielen? Müssten Religionen Verluste ihrer typischen Ausprägungen
hinnehmen, d.h. würde ein solches
übergeordnetes Ethos ihnen die Spitze abbrechen, sie entkernen? Wie steht es um die Verbindung oder Trennung von Religion und
Staat? Welche Rolle spielen Prinzipien wie das der Gleichheit oder der
Würde der individuellen Person? Oder das
der allgemeinen Bildung ?. Schon dieser Fragenkatalog zeigt die ganze
Komplexität der Thematik auf. - Der
Referent nahm dann eine Differenzierung
der Orientierungsbereiche vor, d.h. er
unterschied Normen, Werte und
Tugenden. Normen etwa werden durch
Gebote und Verbote gesetzt. Werte sind
z.B. Freiheit, Meinungsfreiheit,
Autonomie, Gerechtigkeit,
Gleichberechtigung, Recht auf
Bildung. Und Tugenden sind Dinge
wie Anstand, Respekt, Disziplin,
Sensibilität, Empathie, Mitleid.
Was sollte maßgebend sein? Die
Diskussion ergab, dass die drei
Orientierungsbereiche keine Alternativen sein können, sondern alle Bestandteile einer universellen Ethik sein
müssten. Es wurde auf Hans Küngs „Weltethos“ verwiesen und auf das
Weltparlament der Religionen von 1993.
Ein Minimalkonsens könnte die sog.
„Goldene Regel“ sein, wie sie im
Matthäusevangelium formuliert
ist, oder Kants „kategorischer Imperativ“? Der
Volksmund drückt die Idee negativ aus:
„Was du nicht willst, dass man dir tue...“ -
Das Humanum, die Menschlichkeit,
sollte allgemeine Richtschnur sein, Gewaltlosigkeit, Achtung vor dem
Leben, wie sie Albert Schweitzer vertrat.
Im Prinzip schließt diese Richtschnur die Todesstrafe aus. Die Realität
zeigt sofort, wie schwierig sich die Akzeptanz darstellt. Gilt die Achtung vor dem Leben auch
gegenüber Pflanzen und Tieren? Wie weit
kann oder sollte Achtsamkeit gehen? Wie
steht es um Prinzipien wie
Solidarität und faires Wirtschaften? Eigentum verpflichtet. Was ist ein gerechtes Steuersystem? Kein Friede ohne Gerechtigkeit! Gerade
betont eine Stimme, das Problem
Israel/Palästina sei unlösbar.
- Toleranz und
Wahrhaftigkeit wurden angesprochen. Der aktuelle Streit um objektive Berichterstattung und
„Lügenpresse“ macht die Problematik der Medien in
Kunst, Literatur und Politik deutlich. - Die Kultur der gleichberechtigten Partnerschaft von Mann und
Frau sollte im Idealfall „schöpferisch“
sein. -
Kritische Diskussionspunkte: Im Prinzip sind alle dargestellten
Idealvorstellungen ja unstrittig.
Im immer noch christlich geprägten, aber aufgeklärten, mehr oder weniger säkularisierten und
demokratisch und rechtsstaatlich
verfassten „Westen“ sind sie ja
auch weitgehend verwirklicht. In archaischen, nationalistischen und religiös fanatisierten Gesellschaften ist das Gegenteil zu
beobachten. Welche Fehlfunktionen sind
hier am Werk? Welchen Anteil hat daran die
„menschliche Natur“? Gibt es sie
überhaupt noch? Hier streiten sich
soziologische und biologische
Denkrichtungen. Eine fundierte,
realistische Anthropologie, Ergebnisse
von Genetik, Hirn- und
Verhaltensforschung könnten bei der Ursachenforschung hilfreich sein. Ebenso
bis zu einem gewissen Grade fernöstliche
Praktiken wie Meditation und
Yoga, die in die Stille führen. Aber wie
könnten sie weitere Verbreitung finden?
Abschließend summierte der Referent selbst noch in aller Kürze die Einwände gegen das dargestellte „Weltethos“: das Humane generell gibt es nicht, ebenso wenig
die Menschheit als ein Subjekt
oder als ein Weltgewissen. Es gibt
nur einzelne Menschen, die nicht nur
vernunftgesteuert sind. Die Diskrepanz
von Wissen und Tun wird durch keine
Kultur oder Religion aufgehoben. Das
religiöse Verständnis ist extrem
unterschiedlich, so entstehen ebenso
extreme Grenzsituationen. Eine
einheitliche Weltgesellschaft ist nicht vorstellbar, ebenso wenig der Gedanke,
dass sich alle Kulturen auf eine Abstraktum
verpflichten ließen. - Die
Problematik der Wahrheitsfrage blieb
offen und bildet das nächste Thema. sts
Vorschau 4.3.2016
"Was ist Wahrheit?" (Pilatusfrage Joh. 18,38) Jürgen Staas
Bibelzitate: Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. (Joh. 4,24) - Die Wahrheit wird euch frei machen. (Joh. 8,32) - Die Liebe freut sich aber der Wahrheit. (1. Kor. 13,6) - Wir vermögen nichts wider die Wahrheit. (2. Kor. 13,8)
Philosophie: Ihre Gegenstände sind das Wahre, Gute und Schöne. Mit dem Guten befasst sich die Ethik, mit dem Schönen die Ästhetik und mit dem Wahren die Erkenntnislehre oder Epistomologie.
(gr. Episteme = Kenntnis/Erkenntnis. Engl. Theory of knowledge, frz. Théorie de la connaissance).
Verbreiteste Definition der Wahrheit liefert die Theorie der Übereinstimmung oder "Korrespondenz", nämlich der Aussage mit dem Sachverhalt. Es gibt
- axiomatische, also unmittelbar evidente Wahrheiten, mathematische
- naturwissenschaftliche Wahrheiten, induktiv, durch Experimente nachweisbar
- Erkenntnisse aus menschlichen Erfahrungen, biographische, historische
- religiöse Wahrheiten, aus Offenbarungen, heiligen Schriften
- Wahrheiten aus Kunst, Literatur, Mythos, oft auf latenter Ebene.
Probleme der Wahrheitsfindung bzw. der Authentizität:
Subjektivität/ Objektivität; Überzeugungen; Interessengeleitete Erkenntnisse; Urteile/ Vorurteile;
Beweisbarkeit; Verifizierung/Falsifizierung bzw. Vorläufigkeit (cf. K. Popper).
Haltungen zum Wahrheitsproblem:
Kritizismus / Skeptizismus / Empirismus / Dogmatismus / Induktion - Deduktion; Interpretation, Hermeneutik, Exegese etc.
Was ist Wahrheit? Christian Brehmer
„Der unkontrollierte Geist kann den wahren Sachverhalt der Dinge
nicht erkennen.“ Dalai Lama
In der Nachlese zur letzten
Philrunde finden wir viele offene
Fragen, und in der Vorschau auf die kommende
Runde viele unterschiedliche
Aspekte der Wahrheit. Die Wahrheit
an sich ist dem Menschen offensichtlich nicht zugänglich. Es gibt nur Annäherungen an die Wahrheit. Und
eine Annäherung ist – so der Dalai Lama
– den Geist zu „kontrollieren“, d.h.
sich seiner Gedanken bewusst
werden. Bewusstsein fördert zum einen eine Versachlichung der
Subjektivität und zum anderen eine klare Gedankenführung, dient
also der der Erkenntnis des Sachverhaltes.
Und Bewusstsein an sich – die gedankliche Stille – ist intuitive Wahrheit.
Die Analogie des Spiegelbildes
auf einer Wasseroberfläche mag hier dem Verständnis dienen. Ist die
Wasseroberfläche unruhig mit vielen Wellen, ist das Bild verzerrt. Ist die
Wasseroberfläche hingegen ruhig kann sie als reiner Spiegel dienen. – Ähnlich verhält es sich mit der Erkenntnis:
Sind die Gedanken unruhig und unkontrolliert, ist die Erkenntnis verzerrt. Sind die Gedanken ruhig und das Bewusstsein
klar, entspricht die Erkenntnis dem Sachverhalt.
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