Montag, 21. Dezember 2020

Was ist der Mensch? Wer ist der Mensch?

Philosophische Anthropologie                Jürgen Staas

(Thema war für die geplante Philrunde am 1.2. vorgesehen, wird nachgeholt)

 Anthropologie, ein Thema, das ich mir schon  seit einiger Zeit
vorgenommen hatte.   Was ist der Mensch? Wer ist der Mensch? Schon diese
doppelte Fragestellung zeigt, wie zwiespältig das Thema ist.  Unstrittig
ist wohl inzwischen, dass der Mensch ein Produkt der Evolution ist, dass
er ein Teil der Natur ist.  "Adam kam aus Afrika."  (Robert Ardrey)
Erster Teil einer Anthropologie müsste also eine Paläoanthropologie
sein, wie sie Dart und Leaky aufgrund von Funden in afrikanischen Höhlen
und Schluchten begründet haben.  Australopithicinen  (Südaffen) sind
erste Vorstufen, fast eine Million Jahre alt.  Die Zweibeinigkeit, d.h.
das Herabsteigen vom Baum in der Savanne ist ein erster Schritt. Die
Benutzung primitiver Werkzeuge  der greifenden Hand sind weitere
Entwicklungsschritte. Das Wohnen in Höhlen,  die Fertigung von
Jagdwaffen, später die Nutzung des Feuers setzen die Entwicklung der
Sammler und Jäger fort.  Das Grillen von Fleisch erschließt eine bessere
Verwertung von Eiweis, was wiederum das Wachstum des Gehirns gefördert
hat.  Vor  100 - 70 T Jahren beginnt die eigentliche Entwicklung des 
Homo sapiens. Rechtshändigkeit und Entwicklung der linken Hirnhälfte,
Sesshaftigkeit, Wechsel zu Ackerbau und Viehzucht, Sprachentwicklung, 
Tradierung  bilden dann den Beginn einer Kultur.  -  Die Wanderung von
verschiedenen Stämmen zu verschiedenen Zeiten  ähnelt nach neusten
Forschungen  mehr einem dichteren Buschwerk als einem Baum mit wenigen
Ästen.  Die Besiedelung der Erdteile  lässt sich heute dank der Genetik 
immer besser verfolgen.  -  Zur  gesamten Entwicklung des Homo sapiens
lese man die Darstellung von Yuval Noah Harari.  Was nun zeichnet den
heutigen Menschen aus?   Was oder wer ist der Mensch?  Ist er wirklich
die Krone der Schöpfung? Oder ist er eher ein Mängelwesen?   Oder ein
Irrläufer der Evolution (A. Koestler)? Ist er nach romantischer
Auffassung ein edler Wilder?  Von Natur aus gut, nur von der
Zivilisation verdorben, wie Rousseaau meinte.  Der Mensch als Person 
kann empathisch sein,  "edel, hilfreich und gut",   vernünftig,
lernfähig,  kritikfähig, selbstreflektierend, kreativ.   Andererseits
schleppt er offensichtlich  noch viel von seinem animalischen Erbe mit
sich herum.  Er kann aggressiv sein,  bis heute führt er Kriege.
Errungenschaften wie der demokratische Rechtsstaat, Gewaltenteilung als
Garant der Freiheit,  Menschenrechte  etc. sind  immer wieder bedroht. 
Wissenschaftlich gewonnene Wahrheiten  interessieren ihn oft weniger als
seine eigenen Phantasieprodukte .   Vernunft und Wahrheit haben es
schwer.  "La raison est dupe du coeur", (Die Vernunft lässt sich vom
Herzen düpieren).   Aktuell grassieren wieder  Verschwörungstheorien und
"alternative Wahrheiten."   Immer wider geht es um Mythos oder Logos.   sts


                 Woher kommt der Mensch?

Die Evolution des Bewusstseins – Vom Urknall zur Erleuchtung

                                                                           Christian Brehmer

Vorüberlegungen:

Es steht nicht gut mit unserem Planeten. Es steht nicht gut mit dem Menschen. Alte Denkstrukturen haben uns in eine Megakrise geführt, alte Denkstrukturen können uns nicht aus ihr herausführen. Ein neues Bewusstsein ist zwingend. Es wird uns evolutionär erschlossen, und es wird uns eines Tages alle erfassen. Das kommende Weltbild der Evolution wird Eintracht unter die Menschen bringen. Wir sind alle im gleichen Boot!

Um das neue Bewusstsein besser einzuordnen und um eine Orientierung zu finden, wo es lang geht, befasst sich der Autor mit den vergangenen Etappen unserer Stammesgeschichte. Daraus lassen sich  Indizien für die bevorstehende Evolution ableiten; Hinweise, die unserer  persönlichen und der gesellschaftlichen Orientierung dienen. Wir werden zum Mitarbeiter, wir werden zum Vollender der Evolution: das ultimative Abenteuer! Der Zukunftsmensch  wird in absehbarer Zeit auf den Gegenwartsmenschen zurückblicken wie wir auf den Neandertaler… 

Eine neue Bewusstseinsebene

Gemäß astrophysikalischer Forschung entstand unser Universum vor etwa 14 Milliarden Jahren mit einem gewaltigen Urknall. Es entstand das Leben und mit ihm eine fortschreitende Evolution höherer Lebensformen. „Big History“, so nennen die Amerikaner diesen ergreifenden Werdegang. Er wurde immer wieder von herben Einschnitten unterbrochen.  Katastrophen wie das große Sauriersterben vor etwa 65 Millionen Jahren machten Platz für das Neue, in diesem Fall für die Säugetiere und damit für den Menschen. Die Frage ist, ob die Natur zu einem erneuten „Faunenschnitt“ ansetzen muss, um sich von dem Parasiten auf der Erde zu befreien oder ob sich die Vernunft des vernunftbegabten Tieres durchsetzen wird…                 

   So wie wir unseren Planeten verwalten,  damit finden wir uns nicht ab. Während etwa 800 Millionen Menschen hungern, geben wir weltweit jedes Jahr die astronomische Summe von mehr als 1.500 Billionen Euro für Rüstungszwecke aus. Mit diesem Geld könnte man nicht nur den Hunger beseitigen, sondern auch die Armut ausmerzen. Und auch noch viele andere Baustellen angehen

Die Missstände auf unserem Planeten sind ein Spiegel unserer gegenwärtigen Denkstruktur. „Du kannst das Problem nicht lösen von der Ebene, wo das Problem seine Wurzeln hat“, sagte Albert Einstein. Aber wie diese neue Denkebene aussieht, hat uns der geniale Physiker nicht verraten. Und um diese Suche geht es.

   Wir sehen am Horizont der zukünftigen Evolution der Menschheit eine neue Bewusstseinsebene. Ausgehend von der Konsistenz der Natur, der Konstanz ihrer Gesetze und der Kontinuität der Evolutionsdynamik, schließen wir auf die Umrisse dieser neuen Ebene. Aus ihrem bisherigen Verlauf entnehmen wir Hinweise für den bevorstehenden Verlauf. Dabei entdecken wir, dass sich die Evolution bislang in Etappen vollzogen hat, und wir erkennen markante Phasenübergänge.  

Die Phasenübergänge

Erster Phasenübergang

Begonnen hat alles mit dem Urknall, dem großen Symmetriebruch des VEREINHEITLICHTEN FELDES, dem ewig ruhenden Urgrund unseres Universums. Das war der erste Phasenübergang vor etwa 14 Milliarden Jahren. Damit begann die unglaubliche Geschichte des Universums. Erst kleiner als der Kopf einer glühenden Stecknadel; dann mit der Expansion und der zunehmenden Abkühlung die Entstehung von Materie, dem wundersamen Stoff, in dem sich Bewusstsein ausdrücken und entwickeln kann. Eine fantastische kosmische Evolution – Galaxien, Sterne und Planeten, unsere Erde ward geboren.

Zweiter Phasenübergang

Hier auf unserem Planeten, nicht minder fantastisch, eine chemische Evolution, die zur Entstehung von komplexen Makromolekülen führt. Die Vorstufen der DNA und des Proteins assoziieren sich, und in einem zweiten Phasenübergang tritt das Leben hervor. Zunächst drückt es sich in der Zelle aus, der kleinsten Lebenseinheit. Dann entstehen durch Assoziation und Kommunikation der Zellen untereinander die Vielzeller. Weichtiere, Fische, Amphibien, Reptilien, Säugetiere und Menschenaffen: die biologische Evolution erblüht. Das organismische Bewusstsein  drückt sich im weit verzweigten Spektrum der Tierwelt aus. Ausdruck der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst!

Dritter Phasenübergang

Dann erneut ein Wunder: Nach Durchschreiten des Tier-Mensch-Übergangsfeldes erscheint in einem dritten Phasenübergang der anatomisch moderne Mensch auf der Bühne der Evolution. Der homo sapiens, der wissende Mensch tritt auf. Indizien weisen darauf hin, dass jetzt das Bewusstsein so weit erstarkt ist, dass es sich als ein Ich, als getrennt von der Umwelt erlebt. Die unschuldige Einheit des Tieres mit der Natur ist gebrochen: da ist ein Subjekt, da ist ein Objekt. Das reflexive Bewusstsein ermöglicht fortan ein Denken in Kausalzusammenhängen, die mentale Evolution hat eingesetzt.

Vierter Phasenübergang

Ab einem Zeitpunkt vor etwa 50 000 Jahren, finden Archäologen Artefakte, die darauf schließen lassen, dass der anatomisch moderne Mensch zum geistig modernen Mensch „mutiert“ ist. Der homo sapiens sapiens, der Mensch der der nicht nur weiß, sondern auch weiß, dass er weiß, tritt auf: eine weitere Stufe der Intensivierung des Bewusstseins. Jetzt tauchen neben Gebrauchsgegenständen zum ersten Mal auch Kunstgegenstände auf. Denn die Fähigkeit zur Reflexion der Reflexion, das selbstreflexive Bewusstsein, ist die Quelle der Kreativität.  Die kulturelle Evolution hat eingesetzt, die Stufe auf der wir uns gegenwärtig befinden. Von der Höhlenmalerei bis zur Mona Lisa, von der Steinaxt bis zur Rakete mit atomaren Sprengkopf – eine atemberaubende Entwicklung. Homo sapiens sapiens, quo vadis?  

Fünfter Phasenübergang

Mithin ist unsere Stammesgeschichte eine Geschichte der Evolution des Bewusstseins. Von der Urzelle bis zum Menschen der Gegenwart stellen wir eine fortschreitende Intensivierung des Bewusstseins fest, wobei sich die markanten Phasenübergänge abzeichnen. Diese Tendenz, davon gehen wir aus, wird sich fortsetzten. Und damit haben wir das Leitprinzip für die zukünftige Evolution des Bewusstseins, für den bevorstehenden fünften Phasenübergang.

   Eine Reflexion der Selbstreflexion wäre nur eine Rotationsschleife auf der gleichen Ebene. Dagegen dokumentiert die Bewusstseinsforschung, dass wenn die Selbstreflexion in die reine Reflexion einmündet, wenn alle Inhalte, z.B. in der Meditation, transzendiert werden, das neuronale System ein Regime höherer Ordnung annimmt: Unbegrenztes transzendentales Bewusstsein. Damit wird eine supramentale Evolution, ein fünfter Phasenübergang eingeleitet.

   Durch wiederholte Erfahrung des transzendentalen Bewusstseins stabilisiert sich allmählich dieser Zustand der inneren Bewusstheit und bleibt auch während der Aktivität erhalten. Der Mensch erfährt sich als getragen von einer stillen Präsenz, einem Hintergrund reinen, unbegrenzten Bewusstseins, das ihn eine ganzheitliche Intelligenz erschließt und ihn mit allen Wesen und Geschöpfen verbindet: integrales Bewusstsein, die Zukunft der Menschheit?

Ganzheitliche Erkenntnis

Integrales  Bewusstsein ermöglicht eine ganzheitliche Erkenntnis. Die Trennung des Menschen untereinander und des Menschen von der Natur ist ein Trugschluss unserer gegenwärtigen Bewusstseinsstruktur. Aus der Quantenphysik wissen wir längst, dass alles mit allem verbunden ist. Ein Quantenfeld ist ein reines Informationsfeld, das nichts mit Masse und Energie zu tun hat. Der ehemalige Direktor des Max-Planck-Institutes in München, Hans-Peter Dürr, beschreibt es folgendermaßen:

 Dieses Informationsfeld ist nicht nur innerhalb von mir, sondern es erstreckt über das ganze Universum. Der Kosmos ist ein Ganzes weil dieser Quantencode keine Begrenzung hat. Es gibt nur das Eine.“

Im integralen  Bewusstsein hat der Mensch Zugang zu diesem Informationsfeld. Er verfügt über eine ganzheitliche Ebene der Erkenntnis. Jetzt wissen wir, was Einstein gemeint hat mit der anderen Ebene als Voraussetzung zur Lösung des Problems. All unsere Probleme sind Ausdruck einer nicht mehr zeitgemäßen Bewusstseinsstruktur und beruhen auf dem Passungsmangel zwischen „unserer Wirklichkeit“ und der Wirklichkeit an sich.

  Die Wirklichkeit an sich muss auch unseren Ursprung, das VEREINHEITLICHTE FELD, mit einbeziehen, sonst wäre es nicht die ganze Wirklichkeit. Hans-Peter Dürr spricht von dem Quanten-Informationsfeld, an dem Individuum und Universum gleichermaßen teilhaben. Es ist, so die Hypothese, ein „Quantenvakuum-Bewusstseinsfeld“. Renaud van Quekelberge, em. Professor der Psychologie an der Universität Landau, spricht von der Grundwirklichkeit des „unitären Feldes“, das universelles Quantenvakuum und individuelles Bewusstseinsvakuum mit einander verbindet. Von dieser Verbindung künden alle Pioniere der Evolution, die großen Erleuchteten. „Tat tvam asi, DAS bist du“, heißt es in den Veden. „Ich und der Vater sind eins“, sagt das neue Testament – eine Verheißung,  die zum Nachvollzug auffordert.                                                                          

Wir sind Kinder der Evolution. Indem wir unsere Vergangenheit überblicken, gewinnen wir eine Orientierung für die Zukunft. Wir erkennen, dass die Evolution im Menschen sich ihrer selbst bewusst wird. Im Menschen und durch den Menschen will sie sich vollenden. Wurden wir bislang unbewusst und mitunter durch bittere Erfahrungen und Schläge vorwärts gedrängt, so wissen wir jetzt, wo es lang geht. Wir werden zum Mitarbeiter der Evolution und ersparen uns schmerzhafte Umwege. Ständig holen wir uns zurück in die Präsenz und handeln aus der Präsenz in Achtsamkeit. Das Abenteuer der Evolution des Bewusstseins! Lebten unsere tierischen Vorfahren auf einer Stufe der unbewussten Einheit mit der Natur, so finden wir zurück zu dieser Einheit auf bewusster Stufe. Eine realistische Vision, in der tiefe Ehrfurcht, Dankbarkeit, Freude  u n d   Verantwortung liegt.

 


 

 


 

 

Dienstag, 24. November 2020

Philosophenrunde Melle, Nov. 2020

Essay mit anschließendem Kommentar:

Corona – Entschleunigung – Besinnung – Neuausrichtung 

                                                                         Christian Brehmer

Das Virus hat unsere Gesellschaft voll im Griff.  Vertraute Lebensabläufe werden durchbrochen: HomeOffice zum Beispiel verlagert die Arbeit vom Büro an den Computer daheim; Kurzarbeit führt zu ungewollter Freizeit und Betroffene verzeichnen genauso wie Kleinunternehmer schmerzhafte Einkommenseinbußen;  AHA-Maßnahmen verändern unser soziales Gefüge; eine ständige Umstellung der Regulierungen bewirkt Verunsicherung in der Bevölkerung. Noch ist keine Entwarnung in Sicht.

Seit den offiziellen Bleib-zu-Hause Empfehlungen sind immer mehr Menschen daheim und oft allein. Stress, besonders für Familien in kleinen Wohnungen bleibt nicht aus. Für viele Ältere droht die Kontaktarmut genauso belastend zu werden wie die Altersarmut. Virtuelle Freundschaften können auf Dauer keinen persönlichen Kontakt ersetzen. Genauso wenig wie Roboter- Begleiter, mit denen sich in Japan alte Menschen trösten sollen. Das niederländische Gesundheitsministerium empfiehlt einsamen Singles zu sogenannten „Sexbuddys“, d.h. nur mit einem Partner  Sex zu haben, ohne mit ihm unbedingt in einer Beziehung leben zu müssen. Fragwürdiges Modell. Der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski spricht von einer drohenden „Epidemie der Einsamkeit“.

Allenthalben ist eine Entschleunigung des Lebens festzustellen. Für die einen ist die neue Ruhe unerträglich, so aufgeputscht ist ihr Nervensystem. Und sie flüchten verstärkt in Spaß und Konsum. Aber auch der wird beschnitten durch Lockdown-Maßnahmen    für viele unerträglich. Manche gehen lautstark auf die Barrikaden.

Bei vielen dominieren Existenzängste. Für andere ist die Entschleunigung jedoch eine Gelegenheit zur Besinnung. Die Hektik ist abgeebbt, und jetzt ist auf einmal die Zeit da, um nachzudenken über den Sinn des ganzen Treibens, über „Gott und die Welt“ oder über die eigene Stellung und das Verhalten in Familie, Beruf und Gesellschaft. Manches wird bewusst, oft schmerzhaft, und es kommt dann mitunter zu segensreichen Korrekturen.  

Nachdenken kann aber auch zum Grübeln führen. Es rotiert und rotiert in der Birne. Man kommt zu keiner Lösung.  Was soll das alles!?  Ist doch sowieso sinnlos! Manch einer flüchtet dann in Alkohol oder Drogen, andere werden depressiv .

Alles im Leben hat nun mal seine zwei Seiten. Es kommt auf den Blickwinkel an. Hier sind wir frei: Verweilen wir wie gelähmt in der Krise, oder sehen wir die Krise als Chance, als Chance zu einer Neuausrichtung? Denn Krisen, persönlich oder kollektiv, tauchen meist dann auf, wenn unser Bild von der Realität mit der Realität an sich nicht übereinstimmt.                                      

Neujustierung beginnt mit Besinnung. Kein Grübeln, sondern ein Innehalten, ein Aussteigen aus dem Hamsterrad der Gedanken. Aber es ist gar nicht so einfach, das Hamsterrad anzuhalten. Wenn es uns gelingt,  seine Rotation zu verlangsamen oder gar zum Stillstand zu bringen, ist nicht nur eine wohltuende Entspannung festzustellen, sondern auch – frei von fluktuierenden Gedanken – eine innere Klarheit, die Abstand und Übersicht gewährt. Nicht nur das, sondern es stellt sich auch eine stille Akzeptanz der gegenwärtigen Situation ein,  eine  „Meta-Okayness“ , ohne die man immer das Gefühl hat, dass etwas nicht in Ordnung ist oder dass etwas fehlt.  Man/Frau  bleibt ein Mangelwesen und fühlt sich selbst unter Menschen einsam.

Hier liegt die Lösung, hier liegt das, wonach wir suchen. Doch es bedarf viel Geduld und der regelmäßigen Ausübung einer Entspannungstechnik. In einigen Schulen wird bereits  Achtsamkeitstraining angeboten. Generell ist ratsam, mit einer Körpererfahrung zu beginnen, etwa mit Yoga, Tai-Chi, Feldenkrais oder mit einem anderen körperorientierten Ansatz. Die Aufmerksamkeit wird auf den Körper verlagert –  weg von den vielen rotierenden Gedanken, um dann mit der eintretenden Beruhigung auch sie letztlich durch Meditation zum Abklingen zu bringen. Viel Praxis, viel Ausdauer braucht es – aber nichts ist schöner und lohnenswerter als das. Es kommt mehr Bewusstsein = Freude ins Leben. Bewusstseins-Intensivierung ist der eigentliche Sinn des Daseins, das ist die Botschaft von den Milliarden Jahren der Evolution.

Aus der inneren Klarheit kommt auch innere Erkenntnis und Neuausrichtung, kommt es gegebenenfalls zu einer Umorientierung im Leben. Befreit von ständig rotierenden Gedanken, erkennen wir das, worauf es ankommt im Leben und setzen neue Prioritäten.  Muss es zum Beispiel unbedingt ein neuer Wagen sein, oder soll ich mir besser ein E-Bike zulegen, um zur Arbeit zu kommen? Schaffe ich es, weniger Fleisch und Milchprodukte zu essen, um Tiere, Umwelt und meine Gesundheit zu schützen? Was ist mein Eigenanteil an den Problemen mit meinem/r Partner/in? Habe ich den Mut zur Aussprache? –  So hat jeder seine Baustellen und seine Potenziale, um über sich hinauszuwachsen. „It is a terrible thing to waste a crisis!“, sagt Paul Romer, Ökonom an der Stanford University, USA. Jetzt ist die Chance meine blasse Mittelmäßigkeit hinter mir zu lassen und zu der Führungskraft zu werden, die in mir angelegt ist.

Viele zögern noch, trotz Corona-Entschleunigung ihr Leben durch einen Weg nach innen zu ergänzen und zu bereichern.  Die ganzheitlichen wohltuenden Wirkungen  dieses Weges sind wissenschaftlich längst nachgewiesen.[i] In den  Medien ist jedoch von Spiritualität kaum die Rede, und das, obwohl jeder Vierte in Deutschland meditiert und zwei Drittel der Bevölkerung (!) nach dem Sinn des Lebens suchen laut einer repräsentativen Umfrage der GfK (Growth for Knowledge 2016). Etwa 4 Millionen Bundesbürger praktizieren Yoga. Offenbar wollen die Trendsetter hinter den Medien verhindern, dass Spiritualität Mainstream wird, denn bewusst lebende Menschen sind schwerer zu manipulieren. Sie wissen nicht, die Influencer, dass mehr Bewusstsein gleichzeitig auch mehr Vernunft und damit mehr  Ordnung und Bürgersinn bedeutet.                                       

Zur Ignoranz der Trendsetter kommt die Angst vor dem Neuen und Unbekannten, denn die Erweiterung des Bewusstseins kann  zu einem Hinterfragen von vertrauten Prinzipien oder  Privilegien führen, die  sich als  nicht länger tauglich oder fair erweisen. Das Vertraute hatte bislang eine Scheinsicherheit gewährt, und wehe,  wenn daran gerüttelt wird! Dann sträuben sich die Nackenhaare.

Schon Carl Friedrich von Weizsäcker hat 1976 von der „Struktur der angstvollen Selbstbeschützung des Ich“ aus Angst vor dem Wandel gesprochen:

Es ist also nicht so, dass ein besonders gescheiter Mensch kommen muss, um Manager- und Steuerungsaufgaben zu lösen, die komplex sind; aber daran liegt es nicht, sondern es liegt letzten Endes daran, dass unsere seelische Verfassung so ist, dass jeder von uns an irgendeiner Stelle und viele von uns an vielen Stellen das einzig Heilsame abweisen, weil jeder Angst hat, dass ihm etwas passieren würde, wenn er hier die Konzession machte, die letztlich die einzige ist, die ihn retten würde.[ii]

Die Konzession muss unser stolzes Ego machen, das immer alles besser weiß und nicht wahrhaben will, dass es noch eine es übersteigende, höhere Intelligenz gibt, die sich nur durch Stille erschließt. Genau das ist der Weg der Meditation, den von Weizsäcker an anderer Stelle bezeichnet als

die Bereitschaft, den Willen still werden zu lassen und das Licht zu sehen, das sich erst bei still gewordenem Willen zeigt. Sie ist eine Schule der Wahrnehmung, des Kommenlassens der Wirklichkeit.[iii]

Nichts braucht unsere Gesellschaft mehr als eine Annäherung an die Wirklichkeit; ein Weiter- so wie vor der Krise wäre eine evolutionäre Sackgasse.

Hennes hat seinen Hausschlüssel verloren. Er sucht verzweifelt im Garten. Nach einem Weilchen kommt sein Nachbar hinzu und hilft beim Suchen. Bald darauf fragt er: “Sag mal, Hennes, wo hast du eigentlich deinen Schlüssel verloren?“ – „Im Keller des Hauses.“ – „Und warum suchst du nicht dort?“ -  „Nein, da ist es mir zu dunkel, da habe ich Angst.“[iv]

 

 

Verfasser: Dr. Christian Brehmer, Bakumer Str. 31a, 49324 Melle,  brehmer.c@web.de,  Website:  www.bewusstsseins-evolution.de

Weiterleitung und Kommentare willkommen

Literatur:  Christian Brehmer:  Woher? Wohin? Orientierung im Leben. Die Evolution des Bewusstseins als Ausweg aus der Krise. Verlag Via Nova, 36100 Petersberg 2018 

ibd.: Vom Urknall zu Erleuchtung. Die Evolution des Bewusstseins als Ausweg aus der Krise. Verlag Via Nova, 36100 Petersberg 2008  

ibd.: Die Evolution des Bewusstseins und die Erforschung ihres zukünftigen Verlaufes im Rahmen eines erweiterten Wissenschaftsverständnis. Dissertation, Verlag Peter Lang,  Frankfurt/M. 1992    


[i]  www.meditation-wissenschaft.org

[ii] Von Weizsäcker, Carl Friedrich: Der Garten des Menschlichen. Hansa Verlag, München 1977, S. 544

[iii] Ibd.:  Wege in der Gefahr. Eine Studie über Wirtschaft, Gesellschaft und Kriegsverhütung, dtv, München 1987, S. 265

[iv] Frei nach Mullah Nasrudin, www.christophflamm.com

 

Corona – Entschleunigung – Besinnung – Neuausrichtung
                                           (Kommentar von Klaus Burghardt)
 

Einen schönen Artikel hat unser Chris da geschrieben. Mit manchen Aussagen gehe ich konform, mit anderen weniger. Ich möchte mich in meinem Kommentar hauptsächlich auf einen Aspekt konzentrieren, der mit folgenden von Chris' Formulierungen zu tun hat:
   „Bei vielen dominieren Existenzängste. Für andere ist die      Entschleunigung jedoch eine Gelegenheit zur Besinnung. (...) Aber es ist gar nicht so einfach, das Hamsterrad anzuhalten. (...) Doch es bedarf viel Geduld und der regelmäßigen Ausübung einer Entspannungstechnik. (...) Viel Praxis, viel Ausdauer braucht es (...)“
Mir scheint, dass so, wie in unserer Gesellschaft Einkommen, Vermögen und Zukunftsperspektiven ungleich verteilt sind, dies auch für die Möglichkeiten gilt, Chris' Anregung zu folgen und Corona als Chance zu sehen.

Wer in einem großen Haus mit Garten zu Heimarbeit verdonnert wurde und dessen Problem im Wesentlichen darin besteht, dass er unter dem fehlenden Kontakt zu seinen Kollegen leidet, der wird vermutlich weniger Schwierigkeiten damit haben, die erforderliche Geduld für den Weg nach innen aufzubringen als ein Ehepaar, von Arbeitslosigkeit und Hartz IV bedroht, dessen Kinder lärmend durch die eh viel zu enge und zu teure Wohnung toben, weil Schulen und Spielplätze wegen Corona geschlossen sind. Wo mehrere und dazu existenzielle Ängste und Schwierigkeiten zusammenkommen, da lässt sich das Rotieren in der Birne kaum abstellen - auch wenn es gerade in dem Fall besonders wichtig wäre ...

Die psychische Belastung durch Arbeitslosigkeit kann, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, dazu führen, dass nur noch ein Gedanke zählt: Ich muss eine Arbeit finden! Das mag irrational sein und kontraproduktiv. Doch wer mir damals mit Spiritualität gekommen wäre, den hätte ich im besten Fall ausgelacht. 

   " Es kommt auf den Blickwinkel an. Hier sind wir frei: ...“     

Davon konnte bei mir keine Rede sein. Ich war nicht frei. Besagte „Freiheit“ war - was mich anging - fiktiv. Zumindest schien es mir so, und das läuft auf das Gleiche hinaus. Ich war in einer Krise. Diese kam allerdings nicht durch mein Bild von der Realität zustande. Ich sah die Realität sehr deutlich (OK, zeitweise vermutlich in zu dusteren Farben, was meine Krise zusätzlich verstärkte). Ich hatte auch nicht nur „das Gefühl [...], dass etwas nicht in Ordnung ist oder dass etwas fehlt“ - es war etwas nicht in Ordnung, und es fehlte tatsächlich etwas.                    

Glücklicherweise gelang es mir, die Realität zu ändern. Ich fand eine Arbeit. Und war viel entspannter, offener für andere Dinge, und nun hätte mir möglicherweise sogar jemand mit Meditation kommen können.

Ja, so ging es mir mit Anfang 30.                                                    

„Unter jungen Leuten sind rund 50% ratlos. Ein Drittel entdecken keinen tieferen Sinn. ...“ hieß es in der Vorschau zu unserem Treffen vom März 2019. Und: „Besonders negativ wird das Gefühl empfunden, sich überflüssig zu finden.

                                                                                

Wie mögen sich die Jugendlichen fühlen, die jetzt wegen Corona keine Aussicht auf eine Lehrstelle haben? In Gelsenkirchen lag der Anteil der Kinder unter 18 Jahren in Familien mit Hartz-IV-Bezug  im Dezember 2019 - vor Corona - bei 41,5%.                                 

Ich weiß, dass Chris derlei Dinge auch im Blick hat. Da sein Essay allerdings aus verständlichen Gründen einen anderen Schwerpunkt hat, habe ich die Gelegenheit zu diesem Kommentar gerne genutzt.