Mittwoch, 27. November 2019

Nachschau 8.11.2019: Ethik ist wichtiger als Religion Klaus Burghardt

Wir lasen den Appell des Dalai Lama (Quelle siehe vorige Nachschau) erneut abschnittsweise, dieses Mal vom 4. Abschnitt an: „Wir müssen jetzt lernen, ...“ bis „ ...und unserem Mitgefühl zu wenig.“

Die Hauptgesprächspunkte:

1. Religion vs. Ethik
===============
Ein Teilnehmer (die weibliche Form ist immer mit gemeint) sprach sich unter Bezugnahme auf die Aussagen des Dalai Lama* dafür aus, den schulischen Religionsunterricht durch einen Ethikunterricht zu ersetzen. „Was ist den Menschen gemeinsam?“ fragte er. Ihre Vernunftfähigkeit. Philosophie / Ethik befasst sich mit rationalen Begründungen und mit kritischem Hinterfragen. Beides Dinge, die der Religion gerade nicht wesenseigen sind, mit denen sich aber Kinder und Jugendliche gleich welcher Religionszugehörigkeit in einem gemeinsamen Diskurs beschäftigen und dabei das Gemeinsame herausarbeiten können - auf der Grundlage dessen was sie verbindet, nämlich ihre Vernunftfähigkeit, und nicht auf der Grundlage dessen was sie trennt, nämlich ihre
unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse. Das wäre auch gut für die Integration ausländischer Schüler.
     Die meisten „Diskutanten“ sprachen sich gegen diesen Vorschlag aus.
„Wer ist kompetent, Ethik zu lehren?“ wurde gefragt. Und: „Wer arbeitet die Richtlinien aus?“
Ethik könne Religion nicht ersetzen. Es gehe um die Verbindung mit dem Gottesbewusstsein. Im
Religionsunterricht bekomme das Bewusstsein die Möglichkeit, in die göttlichen Sphären zurückzukehren. Für Kinder sei ein solcher Unterricht unerlässlich. Einige Zitate:
  • „Kinder brauchen Anleitung und Vorbilder.“
  • „Die Kinder brauchen Geschichten und praktische Beispiele. Jesus hat Krankheiten geheilt, er hat die Liebe gelehrt.“
  • „Kinder müssen Geschichten lesen und hören. Das ist konkreter.“
  • „Kinder fagen sich: Warum ist die Welt so, wie sie ist? Dann braucht es Geschichten.“
  • „Das können biblische oder weltliche Geschichten sein.“
  • „Jeder Mensch hat eine andere Vorstellung von Gott. Das soll unterrichtet und besprochen werden.“
  • „Jedes Kind sucht sich gute Vorbilder. Unsere Welt hat nicht viel zu bieten. Kraft, Macht, Intelligenz, ... In der religionsangelehnten Welt gibt es noch gute Vorbilder: Engel z.B.“ Von nur e i n e m Vorbild müsse man wegkommen. Gut wäre es, positive Göttervorbilder zu schaffen.
„Religion besteht aus Narrativen, aus Mythen. Das soll man nicht ändern. Man kann das deuten und auf den Sinngehalt abklopfen. Man kann auch ethische Prinzipien daraus ableiten. Egal, ob es biblische oder literarische Geschichten sind.“
     „Der Religionsunterricht kann doktrinär sein oder offen.“ Es gehe darum, die Kinder zum Nachdenken zu bringen. Wobei religiöse Texte, vermittelt von religiös geschulten und mehr oder weniger überzeugten / fanatisierten Lehrern, die Gefahr der Überbetonung des die jeweilige Religion spezifisch Ausmachenden, eben des Trennenden bieten.
     Das Fach Ethik müsste fachübergreifend gelehrt werden. Früher gab es Sozialethik in allen Fächern. „Herr der Fliegen“ z.B. wurde im Deutschunterricht behandelt. Macht so etwas einen speziellen Ethikunterricht überflüssig?
     Der Film „Cahier Africain“ wurde angesprochen. „Christen gegen Muslime. Da geht es nur um Flucht. ... Wo fängt man da an?“ Hier stellen sich, so ein Teilnehmer, Fragen nach der Ethik von Gruppen und Fragen von übergeordneter Religion oder Ethik.
     Ein anderer: Der Dalai Lama gehe von der Grundannahme aus: Alle Menschen wollen glücklich sein. Es biete sich ein Bottom-Up-Verfahren an. „Jeder schaue bei sich. Jeder will das. Deshalb sitzen wir in einem Boot. Wer das verstanden hat, hat mehr Verständnis für den Anderen.“
     „Wer bin ich? Wer sind wir?“ fragte jemand. „Gott ist das Allbewusstsein. Jeder von uns ist ein Teil davon. Je mehr wir uns entwickeln, um so mehr werden wir uns dessen gewahr. Man fühlt Einheit. Alles, was ich sehe, gehört zu uns allen. Durch Meditation werden wir uns dessen gewahr. Die Kinder haben nur verschiedene Zugangswege.“
„Die Liebe, die in unseren Herzen blüht, hoffen wir, dass sie auch in der ganzen Welt blühe.“

2. Der Mensch
===========
Man sollte sich mehr mit der Frage beschäftigen, wie der Mensch gestrickt sei, riet ein Teilnehmer. Da gebe es verschiedene Fachgebiete: Geschichte, Hirnforschung ... Aber: Man wolle manches gar nicht wissen. „Man hat Vorstellungen, man glaubt etwas. Der Mensch hat Gefühle, Interessen, Machtgelüste ... Es braucht nicht nur etwas guten Willen, damit das funktioniert. So einfach ist das nicht.“
     „Es gibt keine großen Politiker, die denken wie der Dalai Lama. Menschen wählen die falschen Politiker. Auch Dummheit spielt eine Rolle. Auch in der Schule gelingt nicht alles. Es reicht nicht, Idealvorstellungen zu präsentieren. Es gibt nicht nur ideale Schüler.“
     „Mensch, erkenne dich selbst, dann wirst du die Welt erkennen“ betonte ein Teilnehmer unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Tempel von Delphi. Wenn es die Selbsterkenntnis gäbe, würde ein Konsens schnell gefunden werden, meinte er. Selbsterkenntnis wäre eine gemeinsame Grundlage für Menschen verschiedener Religionen. Man müsse Prinzipien und Dynamiken entdecken, die wir alle gemeinsam haben. Wer meditiert, werde im Laufe der Zeit auch die Liebe entdecken. Dies gelte auch für „Böse“, auch für Konzernbosse. „Die werden dann ausgetauscht :-)“ warf jemand ein.
„Mensch, erkenne dich selbst, dann wirst du deine Mitmenschen und die Welt erkennen.“
     Jeder Mensch bestehe aus Körper, Geist und Seele. „Diese kommen bei der Entspannung in Übereinstimmung. Dann bin ich bei der Liebe. Dann kann ich die Probleme lösen, die aus einem Mangel an Liebe resultieren.“

3. Diverses
========
Die Aussage des Dalai Lama „Die Hauptursachen für Kriege und Gewalt sind unsere negativen Emotionen.“ wurde in Zweifel gezogen. Die Gründe seien vielmehr in letzter Instanz ökonomischer Art, wobei politische, strategische, oder Erwägungen hinsichtlich der Sicherheit von Transportwegen oder der Energiesicherheit sich allesamt auf ökonomische Grundlagen zurückführen ließen. Die Gegenposition: „Was steckt hinter den Interessen der Großkonzerne? Macht und Gier - das aber sind negative Emotionen.“
_____
* „(...) Wir alle sind physisch, mental und emotional Brüder und Schwestern. Aber wir legen den Fokus noch viel zu sehr auf unsere Differenzen anstatt auf das, was uns verbindet. (...) Kinder sollten Moral und Ethik lernen. Das ist hilfreicher als alle Religion.“ (4. und 5. Abschnitt)


Kommentar                        Klaus Burghardt
Negative Emotionen - Ursachen für Kriege?
Gegenthese: Die Gründe sind letztlich ökonomischer Art.

Im Kapitalismus müssen Unternehmen möglichst kostengünstig produzieren, um gegenüber der Konkurrenz bestehen zu können. Niedrige Löhne, Rohstoff- und Energiepreise, insbesondere aber Rationalisierung erweisen sich hier als hilfreich. Letztere erfordert allerdings Investitionen, welche wiederum Gewinne voraussetzen. Je größer der Gewinn, umso mehr kann investiert, rationalisiert, desto kostengünstiger kann produziert, desto eher die Konkurrenz unterboten oder gar aufgekauft (ggf. auch eine Übernahme des eigenen Unternehmens verhindert) werden.
     Hierzu braucht es allein eines rational handelnden Subjekts, das die Funktionsweise der freien Wirtschaft durchschaut und sich an die betriebswirtschaftlichen Regeln hält. Emotionen wie Gier sind nicht erforderlich, können evtl. sogar schaden.
     Die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechende Ideologie fördern allerdings Egoismus und Gier. Von daher sollten Menschen, die auf Kooperation und Liebe setzen, dieses System kritisch beäugen.
     Der Konzernchef, der sich meditierend in Widerspruch zum Prinzip der Gewinnmaximierung setzt, wird gefeuert, oder das Unternehmen verschwindet vom Markt (Nischen ausgenommen).
     Zum Krieg: Kein Öl, keine seltenen Erden, ein Umweg über Kap Hoorn erforderlich? Das reibungslose Funktionieren der freien Wirtschaft, ihre Profite (s.o.) sind in Gefahr? Konzerne, Banken und Staat werden alles - notfalls auch „legitime“ Gewalt - daransetzen, derlei Widrigkeiten abzuhelfen.

PS:
„Profitmaximierendes Verhalten folgt dem Diktat der Zweckmäßigkeit und ignoriert die Forderungen der Moral. Finanzmärkte sind nicht unmoralisch, sondern amoralisch“ so der US-amerikanische Investor George Soros. Menschen mit Skrupeln hätten in diesem knallharten Umfeld keine Chance, meint er.

Kommentar                                        Christian Brehmer 
Negative Emotionen - Ursachen für Kriege?
Unterstützende These

Unser oben geschildertes neoliberales Wirtschaftssystem bewikt Stress und Frust für die Mehrheit der  Bevölkerung.  Unsere Gesellschaft ist voller Spannungen. Letztere verursachen häufig negative Emotionen. Sie begünstign nicht nur psychosomatische Krankheiten, sondern auch eine Aggressionspotenzial, das sich abreagieren will bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen.
Kollektive negative Emotionen kumulieren zu einem morphogentischen Feld, das negatives Verhalten begünstigt. (Vergl.  Sheldrake Hypothese)
Ergo: Das Praktizieren einer Entspannungstechnik ist von hoher gesellschaftspolitischer Bedeutung.
Dalai Lama: "Wenn alle 8-Klässler die Meditation erlernen würden, hätten wir Weltfrieden in einer Generation."

Vorschau 6.12.2019
Wir haben uns geeinigt, den Dialog über den hochaktuellen Text des Dalai Lama "Ethik ist wichtiger als Religion" fortzusetzen. Wir werden weiterlesen zur Grundlage unseres Gespräches ab S. 11 "Ich schlage vor...."   Einen Link zum Text finden wir in der Nachschau vom 4.10.