Nachlese 2.5.2014 Christian Brehmer
Das
Referat von Frau Dr. Stefanie von Bar über Meister Eckhart am 4.4. hatte Nachdenken ausgelöst und Fragen offengelassen. Daran knüpften wir am 2.5.an: Zunächst ging es noch einmal um unsere gegenwärtige Befindlichkeit,
das Leben in der „Aversio“, der Abkehr von Gott: Wir werden von unserem
begehrenden Denken vereinnahmt, wünschen
uns Gesundheit, Erfolg im Beruf,
Erfüllung im Privatleben, Anerkennung unserer Mitmenschen, Spaß in unserer
Freizeit – ist ja auch ganz „normal“. Nur
geht dieses begehrende Denken vom Ich aus. Unsere Intelligenz im Einsatz zur
Erfüllung unserer Wünsche ist „ichlich“, ist partikular, also begrenzt von der
Ratio im Dienste des Ego, und nicht ganzheitlich, und so letztlich – denn die Natur ist eine
Ganzheit – zum Scheitern verurteilt.
Ganzheitlichkeit, gibt es nur mit Gott, sie ist die Wirklichkeit unserer
Existenz. Also muss der logische Schritt die „Reversio“ sein, die Rückwendung
zu Gott.
Die
Rückwendung zu Gott erfolgt nach Eckhart über die „Abgeschiedenheit“, die
Loslösung von allem Sinnlichen und ihren Nachwirkungen als Gedanken. (Also
genau das, was wir in unserer „Entspannungsreise“ zu Beginn unserer Philrunde
versuchen.) Aller Gedanken ledig, in der absoluten Abgeschiedenheit, erfährt
der Mensch die vollkommenen Ruhe, das Nichts, den Seelengrund, in dem die
Einung mit dem Göttlichen erfolgen kann. Der „edle Mensch“ wird geboren; er
lebt aus der Ganzheit heraus (s.o.) zum Wohle seiner selbst, seiner Mitmenschen
und der Umwelt.
Die
Frage kam auf, ob diese Rückwendung zu Gott in unserer Gesellschaft überhaupt möglich
ist, oder ob es der klösterlichen „Abgeschiedenheit“ bedarf. Eckhart hat es zu seiner Zeit vorgelebt. Er hat als
Provinzial und Generalvikar der Dominikaner, später als Lehrstuhlinhaber des
Studium Generale an der Universität Köln ein äußerst aktives Leben geführt. – Zum
Verständnis half uns allen das Bild von Tür und Angel. Die Angel ist unsere
Seele (die wir u.a. in der Meditation erfahren und stärken), die Tür ist die
Handlung aus der Seele, aus der Ganzheit heraus.
Es
kam der Einwand auf, dass wir Menschen als biologische Wesen von Natur aus
begrenzt sind. Können wir uns denn über unsere Schatten erheben? In diesem
Zusammenhang sei an unsere ausführliche Diskussion über die Ergebnisse der modernen Gehirnforschung erinnert. Inzwischen werden
die Befunde der „Neuroplastizität“ des Hirns jedoch allgemein akzeptiert.
Abschließend
wurde noch der Frage nachgegangen, ob dem gegenwärtigen Bedeutungsverlust der
Kirchen durch christliche Mystik im Sinne Meister Eckharts entgegen gewirkt werden
könnte. (Vgl. hierzu auch unsere Diskussion zu „Gott 9.0“)
Vorschau 6.6.2014
Religionen – ihre hellen und dunklen
Seiten Jürgen Staas
Religion
bedeutet dem Wortsinne nach Rückbindung, Achtsamkeit in der Bedeutung von
Vorzeichen und Vorschriften, speziell bei Buch- bzw. Gesetzesreligionen. „Substanzialistische“
Religionen betonen den Bezug zum Heiligen, Transzendenten, Numinosen,
Absoluten. „Funktionalistische“ Religionen spielen eher eine
gemeinschaftsstiftende, gesellschaftliche, politische Rolle. Oft verbinden sie
beide Rollen. Der religiöse Mensch entwickelt ein Gefühl „schlechthinniger
Abhängigkeit“ (Schleiermacher). Wertvorstellungen haben einen normativen
Einfluss. Lange Traditionen, übernatürliche Vorstellungen (Götter, Engel,
Teufel), Mythen (Narrative) bieten Sinngebung. Der Glaube wird in Dogmen
gefasst. Heilige Orte, Schriften, Gebäude, Priester, Weise, Kunst, Poesie und
Musik, bieten Orientierung, Bindung, Halt, Ordnung, Heimat, Lebenshilfe. Mythen
erklären Schöpfung, Natur, Leben, Gottheit und Menschsein. Es gibt theistische
und atheistische Religionen. Alle o.g. Qualifizierungen
und Differenzierungen machen es schwer, allen Religionen gemeinsame
Eigenschaften zuzuschreiben. In einem übergeordneten Sinne sollten sie dem
Menschen tiefere Einsichten vermitteln und ihm Lebenshilfe bieten.
Die
Wirklichkeit ist davon oft weit entfernt. Absolute Wahrheitsansprüche führen zu
Dogmatismus und Intoleranz, besonders extrem in theokratischen Systemen. Besonders
der strenge Monotheismus (AT) neigt dazu: Grausame Gewaltbereitschaft im alten
Israel, im zeitgenössischen Islam, im christlichen Mittelalter, im
Neuenglandpuritanismus, im modernen Fundamentalismus. Schreckensmeldungen erreichen
uns täglich aus dem Orient oder aus Afrika. Man wird nicht umhinkönnen,
zwischen aufgeklärter und unaufgeklärter Religion zu unterscheiden.
„M.E.
hat man sich bisher über die Zerstörungskraft religiöser Überzeugungen viel zu
wenig Gedanken gemacht.“ Messadié, in seinem Buch über den Antisemitismus. – „Es
ist nicht der Zweifel, der die Menschen verrückt macht, sondern die Gewissheit“.
Nietzsche. Der religiös motivierte Terrorismus, aktuell besonders in der
islamischen Welt virulent, ist ein Ärgernis der modernen Welt. Lesenswert: H.M.
Enzensberger: „Schreckens Männer.“ Oder jüngstes Werk: Hamed Abdel-Samad: „Der
islamische Faschismus“. Was zählt? Der ursprüngliche gute Wille (Kant), oder Jesu
Wort „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“? Letzteres scheint mir
realistischer!
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