Nachschau 11. Nov. 2016 Christian Brehmer
Der
Appell des Dalai Lama an die Welt: Ethik ist wichtiger als Religion
Der Appell wurde als Vorbereitung zu
unserer Philrunde am 7.10. bereits im vollen Wortlaut in unseren Blog gesetzt.
Unsere Referentin hatte die Kernaussagen in einem Thesenpapier einleitend
vorgetragen. Sie hob einen entscheidenden Satz des Dalai Lama hervor: „Ich kenne keine Feinde.
Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe.“ Das gab Anlass
zur Besinnung. An anderer Stelle sagt der Tibeter: „Durch intensives
Meditieren werden wir feststellen, dass Feinde unsere besten Freunde werden
können“. Tatsächlich berühren wir in der Tiefe der Meditation einen Grund, der
uns alle miteinander verbindet und aus dem Verständnis und Mitgefühl erwächst.
Es wurde der Einwand eingebracht, dass der Feindesliebe die biologisch
gegebene Natur des Menschen entgegensteht. Apostel Paulus: „Denn das Gute, das
ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue
ich.“ (Römer 7,19) An anderer Stelle sagt er wiederum: „…ist jemand in Christo
ist er eine neue Kreatur.“ (2. Kor. 5,17) Der neue Mensch erwächst aus der
Christusstille, die wir in der Meditation erfahren können.
Ein weiterer Beitrag betonte die Menschenbildung, die Entwicklung des
Ideals des Menschlichen. Hier sind Familie, Schule und Kirche gefordert.
Alsdann: Religionen sollte man nicht aufgeben. Sie sollten sich aber einem Update unterziehen
und sich mit der universellen Ethik
abgleichen. Kriege werden mehr aus wirtschaftlichen Überlegungen geführt
als aus religiösen Gründen.
Die Diskussion war lebhaft, aber die
Reflexionsrunde nach der Entspannungsmusik
war besinnlich. „Eigentlich ist die Musik ein Medium, das alle Menschen
eint und gleichermaßen anspricht“, so ein Kommentar.
Vorschau 2. Dez. 2016 Jürgen Staas
Was macht den Menschen empfänglich für Ideologien?
Der Begriff der Ideologie, zu Napoleons Zeit geprägt, ist heute etwa Synonym für Weltanschauung. Ideologien bieten retrospektiv Erklärungsmuster für die Zustände der bestehenden Welt, ähnlich den Religionen. Der Mensch denkt kausal. Von früh auf will er wissen „warum?“ Kinder nerven mit dieser Frage, und sie steht auf manchem Grabstein. Ideologien haben aber auch eine utopische Dimension. Sie wollen Orientierung geben hinsichtlich künftiger Entwicklungen bzw. notwendiger sozialer Veränderungen. Karl Marx: „Die Philosophen haben die Welt erklärt. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ So münden Ideologien in evolutionäre oder revolutionäre Bewegungen. Ihre Ideen bieten wie der religiöse Glaube Identifikationsmöglichkeiten. Sie provozieren dann aber auch Kritik wie die großen Dystopien des 20. Jahrhunderts. - Die Liste der Ideologien ist lang: Liberalismus, Kapitalismus, Kolonialismus (Kipling: Take up the white man's burden), Sozialismus u. Kommunismus (Soziale Gerechtigkeit), Nationalismus, Faschismus, Nationalsozialismus („Volk ohne Raum“), Rassismus, Antisemitismus, etc. Sie tendieren zum Totalitarismus, die Wirklichkeit wird verzerrt, die Wahrheitsfrage stellt sich gar nicht. „Ideologen sind scharfe Denker, die sich auch durch Tatsachen nicht beirren lassen.“ Wort des Tages im MK in den 60er Jahren. Ideologien dienen oft partikularen Interessen u. schaffen verdeckte Herrschaftssysteme. Sie kultivieren Feindbilder. Schuld sind immer die anderen. Sie entlasten von eigenen Defiziten. - Nach den verheerenden Erfahrungen des 20. Jahrhunderts wurde schon das Ende der Ideologien verkündet. Es bilden sich aber neue. Religionen können zu Ideologien entarten: Islamismus, Fundamentalismus, evangelikale Mega-Churches, wie auch Konfessionen mit ihren absoluten Wahrheitsansprüchen. Sozialistische Ideen wirken fort, weil „soziale Gerechtigkeit“ anscheinend ein permanent kontroverses Thema ist und bleiben wird.
Fazit: Das Bedürfnis nach Erkenntnis und Identifikation, die Suche nach Werten und Orientierungen, Verführbarkeit und Herdentrieb sowie Mangel an Kritikfähigkeit sind offenbar die Gründe und Ursachen für die menschliche Anfälligkeit gegenüber Ideologien. Gegenmittel sind Bildung, Vermittlung von Kriterien, Relativierung, Ironie, Geschichte und Literatur, z.B. Voltaire, Ionesco, Huxley, Orwell. Zu Empfehlen: Martin Urban: Warum der Mensch glaubt. K. Lorenz: Das sogenannte Böse. A. Koestler: Der Mensch, Irrläufer der Evolution.
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