Samstag, 29. Mai 2021

  Philrunde 4.6.2021                                              Christian Brehmer

Wir haben uns verirrt – uns fehlt die entscheidende Dimension!

Als Menschen auf dieser Erde wurden wir ins Dasein geworfen, und wir müssen unser Leben irgendwie managen, um „über die Runden zu kommen“. Einigen fällt das leicht, vielen fällt das schwer. Besonders wenn wir an die Zweidrittel der Menschheit in der sogenannten „Dritten Welt“ denken.  Oft ist für sie ist das Leben nur ein einziger Kampf ums Überleben. Eine Schande für die wohlhabenden Länder, deren Wohlstand zum großen Teil auf der Ausbeutung der armen Länder beruht; eine Schande auch für die schreiende Kluft zwischen Arm und Reich, selbst in Deutschland. 

Zu Coronazeiten allerdings müssen auch in den reichen Industrienationen  viele Mittelständler und Kleinbetriebe ums Überleben kämpfen, jedoch meist nur finanziell. Für viele  ist  ein soziales Netz gespannt, das für ein angenehmes Überleben sorgt. Allerdings ist da der Schmerz, das über Jahre Aufgebaute liegenlassen zu müssen. Die Enttäuschung ist groß, und schnell mündet sie in eine Depression. Zwar müssen nur wenige hungern -  das Leiden ist eher psychisch. Die Pandemie hat den ganzen Globus mit einer Malaise überzogen, und wer bemerkt noch das schelmische Kichern des kleinen Mädchens über die Maske ihrer Mutter: „Mama, nimmst du die beim Essen ab?“

Hieß es schon immer: Das Leben ist ein Kampf, so kommt zu Coronazeiten  noch die Angst vor dem Ungewissen hinzu und vielleicht die Angst sich anzustecken, ggf. trotz Impfung. Es lauert hinter aller Aktivität und Zerstreuung eine dem Menschen unbewusste Urangst bedingt durch die Trennung von seinem Ursprung. Hinzukommt das häufig verdrängte Wissen um die eigene Sterblichkeit. Trotz Aufklärung, Wissenschaft, Kranken- und Lebensversicherung verbleibt da etwas Unsichtbares und Unkontrollierbares. Uns wird unsere „conditio humana“ auf der gegenwärtigen Evolutionsstufe – einer Durchgangsstufe – bewusst. Und das ist gut so.

Auch bereits vor der Pandemie war für viele das Leben ein  Kampf: Joberhalt, Gesundheitsprobleme, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Digitalisierung, zwischenmenschliche Auseinandersetzungen, und, und, und – die Liste ließe sich für jeden individuell erweitern. Unser Leben und unser Planet sind in einer Schieflage. „Wir haben uns verirrt“, konstatiert der renommierte Hirnforscher Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther. Ob die Naturvölker vor dem Kontakt mit den europäischen Entwicklungsbringern schon soviel Leid kannten? Ist doch das Leben an sich Freude, ein grundlegendes Wohlgefühl, für das man nichts tun muss. Das bestätigen alle, die ihr Bewusstsein erweitern und die sich von ihren inneren Fesseln zum Leben befreien.

Der in Deutschland lebende, spirituelle Lehrer aus England, John David, hat ein Buch verfasst: „Grundlos glücklich. Die Freiheit des Seins“ und  dazu einen gleichnamigen Film gedreht. Auch Barbara Vödisch hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Grundlos glücklich. Die Quelle des wahren Glücks liegt in dir.“ Da heißt es in der Einleitung:

Nichts brauchst du, nichts fehlt Dir, um glücklich zu sein.                    Wahres Glück ist nicht getrennt von Dir,                                                      ist nicht abhängig von glücklichen Ereignissen,                                            von beruflichem Erfolg, Geld oder anderen Menschen.                                   Es ist dein ntürliches Sein.  

Für die meisten Menschen ist „das natürliche Sein“ jedoch alles andere als glücklich. Als Kinder strahlten wir es noch aus und kicherten manchmal über das Verhalten der Erwachsenen: „Was? Opa wünscht sich ein Smartphone? Da lachen ja die Apps!“. Wir haben eine Kultur erschaffen, die uns von uns selbst entfremdet. Wir suchen unser Glück im Äußeren, in Ablenkungen oder im Wohlstand, in Besitz und Anerkennung und müssen dafür kämpfen in einer Welt der Ellbogenmentalität.  So  schaffen wir Verspannungen in unserem Nervensystem und fühlen uns nicht wohl in unserer Haut. Vergeblich suchen wir Ausschau nach etwas Verbindlichem, an dem wir uns  orientieren können.  Ohne inneren Anker sind wir den Wellen der Ereignisse ausgeliefert, versinken wir in der Informationsflut.  Wer bin ich eigentlich und was ist der Sinn meines Daseins?

Spätestens wenn es uns dreckig geht, wenn wir kurz vor dem Burnout stehen und nicht in Aktionismus, in Ablenkungen, Alkohol oder Drogen flüchten, tauchen diese Fragen auf. Sie halten uns in der Schwebe und manchem wird bewusst, dass er nicht lebt, sondern funktioniert. Wir werden gelebt und leben oft am eigentlichen Leben vorbei. Das kann es doch nicht alles sein! Irgendetwas fehlt! Aber wenn wir diesen Schwebezustand, dieses innere Fragen aushalten, unverkrampft für eine Weile aushalten, ohne Ablenkungen, kann eine befreiende Dimension aufschimmern, etwas, nach dem wir schon  immer gesucht haben.

D a s was sucht, ist das Gesuchte“,

                       sagt Franziskus von Assisi. Was er wohl damit gemeint hat? 

Geht es etwa um die dem Suchen innewohnende Dynamik, und weniger um das, was ich suche? Wenn ich alle Inhalte in meinem Bewusstsein zurücklasse, bleibt nur noch das reine Bewusstsein, und –  das ist die Entdeckung – dann tut sich eine neue Dimension auf. Sie war schon immer da war, nur überlagert von den vielen Gedanken und Emotionen. Ich ent – decke, zunächst schemenhaft, und dann  mit Geduld und Beharrlichkeit immer klarer die Substanz meiner Persönlichkeit, mein eigentliches Selbst, meine Seele. Sie war schon immer da; jetzt habe ich sie kurz erfahren. Sie ist mir entgegengekommen. War der Begriff "Seele" bislang eine in unserer Gesellschaft gängige Begriffshülse -  jetzt ist sie mit Erfahrung gefüllt.

Heureka! Ich hab´s gefunden! Ein freudiger Ausruf, wie er von Archimedes in der Badewanne überliefert ist. In der Entspannung kam die befreiende Intuition. Sagt       man doch, er sei vor Freude aus der Wanne gesprungen und nackend durch Athen gelaufen: „Heureka! Heureka!“ Der antike Mathematiker und Physiker  entdeckte zwar nicht seine Seele, aber ihm ging auf, dass das Volumen seines Körpers genau der Menge des verdrängten Wassers entsprach: das hydrostatische Gesetz.

Fortan gehe ich der Erfahrung meiner Seele nach. Sie führt zu einer regelmäßigen Selbsterfahrungspraxis, die mich  jenseits von Gedanken und Emotion zu meiner Substanz, zu meiner Seele befreit. Sei es nun Yoga, Meditation oder Achtsamkeitstraining, der Wege sind viele. Ich finde meine mir gemäße Methode,  denn ich bin motiviert. Regelmäßig praktiziert, löse ich mich mehr und mehr von allen Gedanken und lasse alles Inhaltliche zurück, bis ich das reine Bewusstsein erfahre, meine Seele. Ich erfahre sie als eine stille innere Freude. Grundlos. Sie war, so sagten wir, schon immer da, mein zu sich selbst befreites inneres Sein, nur überlagert von schwatzhaften Gedanken,  zwanghaften Vorstellungen,  schillernden Emotionen und rotierenden Problemen. 

Freilich geht mir diese innere Freude im Alltag immer wieder verloren. Aber ganz unverhofft, mitten in der Aktivität  taucht sie spontan wieder auf, eine befreiende Bewusstwerdung meiner selbst, eine Orientierung von innen. Ich unterstütze diesen Prozess, und im Laufe der Zeit setzt sich  ein sanftes Hintergrund-Bewusstsein, eine stille Präsens im Alltag immer mehr durch. Ich erkenne es als mein wahres Wesen, als meine Heimat, als meine Seele, nach der ich schon immer gesucht habe.               

                     „Die Seele ist eine wissende Substanz“,

sagte Rumi, der persische Philosoph und Mystiker, einer der großen Weisheitslehrer der Menschheit.

Wir alle wissen, dass wenn wir entspannt sind, uns nicht nur gespeichertes Wissen mühelos zugänglich ist, sondern sich auch Intuitionen einstellen können (Beispiel Archimedes).  Wir haben ein Problem, grübeln, lassen  locker, und die Lösung „fällt uns ein“ Woher kommt sie?  Sie kommt aus der Seele, aus der wissenden Substanz. Und wenn sie uns mehr und mehr  zugänglich ist, durch regelmäßige Ausübung einer Entspannungs- und Selbsterfahrungspraxis, schöpfen wir zunehmend aus der Intuition, der den Verstand ergänzenden Erkenntnisquelle. Sie ist in jedem Menschen angelegt, und wenn Selbsterfahrungstechniken in unserer Gesellschaft angekommen sind, tun wir das bewusst, was die Evolution unbewusst seit Millionen von Jahren in uns entfaltet hat, das Bewusstsein. Wir werden weniger Fehler machen und von unserem selbstzerstörerischen Verhalten absehen. Die fehlende Dimension - sie wird  unser Leben und unseren Planeten wieder ins Lot bringen.

Dabei kann Corona unser Entwicklungshelfer sein: Ein Schuss vor den Bug des vom Menschen fehlgesteuerten Dampfers unserer Gesellschaft. Viele haben das erkannt und wollen nach der Herdenimmunität nicht mehr zurück in das alte Fahrwasser der zwanghaften Steigerung von Produktion, von Konsum und Spaß. Alle machen sich zwar stark für Klimaschutz, aber viele sehen nicht die tiefere Ursache unseres ausbeuterischen Verhaltens der Natur gegenüber. Wir sind schlichtweg  Mangelwesen auf der gegenwärtigen Durchgangsstufe der Evolution. Der Mangel lässt sich nicht allein durch Aktionismus und durch Spaß und Konsum ausgleichen  uns fehlt die entscheidende Dimension, die Dimension der Seele.

Dagegen kann man etwas tun.

 

Autor: Dr. Christian Brehmer, Evolutionsforscher, Bakumer Str. 31a, 49324 Melle                                    E-mail: brehmer.c@web.de ,  Website: www.bewusstseins-evolution.de

Literatur:  C.  Brehmer: „Vom  Urknall zu Erleuchtung. Die Evolution des Bewusstseins als Ausweg aus der Krise“, Verlag Via Nova                                                                                                                         ibd.: „Woher? Wohin? Orientierung im Leben. Die Evolution des Bewusstseins  als Ausweg aus der Krise, Verlag Via Nova

Weiterleitungen und Kommentare willkommen.

 




 

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