Montag, 20. Januar 2020

Nachschau 3.1.2020: Der Appell des Dalai Lama an die Welt     Jürgen Staas
(Einleitung, S.11 - 15)

 Thema am 3.1.20 war die Fortsetzung der Lesung des Dalai-Lama-Appels
 "Ethik ist wichtiger als Religion". Zentrales Stichwort war die
 Achtsamkeit. Sie bedeutet gleichzeitig auch Aufmerksamkeit, auf sich
 selbst als Subjekt.   Der Essay ist auch rein stilistisch von
 Interesse. Auffällig ist die Häufung des modalen Hilfsverbs "müssen".
 Der Text beinhaltet eine endlose Reihe von Imperativen dessen, was der Mensch tun müsste, vornehmlich um sich selbst zu ändern. Ja, was er tun müsste, das ist seit Jahrtausenden bekannt: ändere dich, tut Buße! Die Diskrepanz von Wissen und Tun, das ist das wahre
 menschliche Dilemma. Wieweit ist der Mensch tatsächlich in der Lage,
 sich selbst zu verändern? Die Forderung erinnert an Münchhausens
 Versuch, sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Ein
 neues, vertieftes Bewusstsein soll es richten. Wissenschaftliche
 Erkenntnisse und Aufklärung haben einiges vermocht. Aber das
 erfordert einen endlosen, mühevollen Bildungsprozess. Der Mensch wird
 nicht als Christ, Kommunist oder Demokrat geboren. Erfahrungen
 verblassen. Der Mensch lernt aus der Geschichte, dass der Mensch aus
 der Geschichte nichts lernt. Mit dem Bild vom "animal rationale" ist
 es nicht weit her. "La raison est dupe du coeur" (LaRochefoucauld).
 Die Vernunft ist sehr begrenzt, Interessen, Emotionen, Triebe etc.
 gewinnen immer wieder leicht die Oberhand.
 Ethische Fragen sind nicht das Problem. Das Problem ist der Mensch
 selbst. Gefragt ist zunächst eine realistische Anthropologie. sts

Vorschau 7.2.2020: Ethik im Sinne von "Weltethos" (Hans Küng),
Menschenrechte/Menschenpflichten                   Jürgen Staas

Zurückgegriffen werden kann dabei auf zwei frühere Runden: "Ein Abend mit Prof. Mokrosch" (5.2.16) zum Weltethos und "Menschenrechte/Menschenpflichten" (3.3.18.). Mokrosch beschäftigte zunächst die Frage, wieweit ein globales, interreligiöses Ethos überhaupt möglich wäre. Wäre es westlich, christlich, aufklärerisch geprägt oder auch asiatisch? Der Referent differenzierte dann nach
Normen, Werten und Tugenden. Normen werden durch Gebote und Verbote gesetzt, Werte etwa sind Freiheit, Gerechtigkeit, Autonomie. Tugenden etwa sind Respekt, Anstand, Empathie. Er verwies dann auf  Hans Küngs "Weltethos". Ein Minimalkonsens könnte die Goldene Regel (Bergpredigt) oder Kants "kathegorischer Imperativ" sein. Wichtig wären dabei Prinzipien wie das der Gegenseitigkeit, der Gewaltlosigkeit, der "Achtung vor dem Leben" (A. Schweitzer). Diese würden die Todesstrafe kategorisch ausschließen. Toleranz und Wahrhaftigkeit wurden angesprochen, ebenso der Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden. - Schließlich kritische Einwände: Welche Fehlfunktionen biologisch-anthropologischer, ethologischer oder auch soziologischer Art stehen dem Ethos entgegen? Ist die Menschheit als einheitliches Subjekt oder Weltgewisssen überhaupt vorstellbar und realistisch? Die Diskrepanz von Wissen und Tun wird durch keine Kultur oder Religion aufgehoben.
Ethische Frgen stehen in engem Zusammenhang mit den Menschenrechten, wie sie in der amerikanischen Unabhängigkeitserkärung und durch die frz. Revolution begründet und formuliert werden. Sind sie religiös bezw. biblisch-christlich begründet oder doch eher säkulär der Aufklärung zu verdanken? Beide Aspekte lassen sich rechtfertigen. Die christlichen Kirchen allerdings haben lange gebraucht, sie anzuerkennen und sich zu eigen zu machen. - Lang ist die Liste der geschichtlichen Schritte hin zur modernen Demokratie: von der Magna Charta (1215) über Pufendorfs "Naturrecht" (1672), Habeas corpus (1679), bis zur Allgemeinen Erklärung der MR durch die UN 1948.-  Als Ergänzung und Gegengewicht wurden 1997 die "Menschenpflichten" konzipiert. Sie decken sich weitgehend mit dem "Weltethos". -
    Literatur: Martin Klingst: "Menschenrechte" (Reclam Reihe "100 Seiten")

ErgänzendeVorschau 7.2. 2020:  Fragen zu einem "Weltethos" Jürgen Staas   
(Vergl. Referat zum gleichen Thema von Prof. Dr. R. Mokrosch vom 5.2.2016) 
                                      
Kann es eine globale, internationale, überregionale,  interreligiöse Ethik überhaupt geben?  Wäre sie vorwiegend westlich,  durch Vernunft und Aufklärung bestimmt?   Welche Rolle würden östliche Traditionen spielen?  Müssten Religionen  Verluste ihrer typischen Ausprägungen hinnehmen, d.h.  würde ein solches übergeordnetes Ethos ihnen die Spitze abbrechen, sie entkernen?    Wie steht es um die  Verbindung oder Trennung von Religion und Staat?  Welche Rolle spielen  Prinzipien wie das der Gleichheit oder der Würde der  individuellen Person?  Oder das  der allgemeinen  Bildung ?.  Schon dieser Fragenkatalog zeigt die ganze Komplexität der Thematik auf.  - Der Referent  nahm dann eine Differenzierung der  Orientierungsbereiche vor, d.h. er unterschied  Normen, Werte und Tugenden.  Normen etwa werden durch Gebote und Verbote gesetzt. Werte sind  z.B.  Freiheit, Meinungsfreiheit, Autonomie,  Gerechtigkeit, Gleichberechtigung,  Recht auf Bildung.  Und Tugenden sind Dinge wie  Anstand, Respekt,  Disziplin,  Sensibilität,  Empathie,  Mitleid.  Was sollte maßgebend sein?  Die Diskussion ergab, dass die drei  Orientierungsbereiche keine Alternativen sein können, sondern alle  Bestandteile einer universellen Ethik sein müssten.  Es wurde auf  Hans Küngs „Weltethos“ verwiesen und auf das Weltparlament der Religionen von 1993.   Ein Minimalkonsens könnte die sog.  „Goldene Regel“ sein, wie sie im  Matthäusevangelium  formuliert ist,  oder Kants  „kategorischer Imperativ“?   Der  Volksmund drückt die Idee negativ aus:  „Was du nicht willst, dass man dir tue...“   -   Das Humanum, die Menschlichkeit,  sollte allgemeine Richtschnur sein, Gewaltlosigkeit, Achtung vor dem Leben, wie sie Albert Schweitzer vertrat.  Im Prinzip schließt diese Richtschnur die Todesstrafe aus. Die Realität zeigt sofort, wie schwierig sich die Akzeptanz darstellt.   Gilt die Achtung vor dem Leben auch gegenüber Pflanzen und Tieren?  Wie weit kann oder sollte Achtsamkeit gehen?   Wie steht es um  Prinzipien wie Solidarität  und  faires Wirtschaften?   Eigentum verpflichtet.  Was ist ein gerechtes Steuersystem?  Kein Friede ohne Gerechtigkeit!   Gerade  betont eine Stimme, das Problem  Israel/Palästina sei unlösbar.   -  Toleranz und Wahrhaftigkeit  wurden angesprochen.  Der aktuelle Streit um  objektive Berichterstattung und „Lügenpresse“  macht die Problematik  der Medien in  Kunst,  Literatur und Politik  deutlich. - Die Kultur der  gleichberechtigten Partnerschaft von Mann und Frau  sollte im Idealfall „schöpferisch“ sein.   -
Kritische  Diskussionspunkte:  Im Prinzip sind alle  dargestellten  Idealvorstellungen ja unstrittig.  Im  immer noch christlich  geprägten, aber aufgeklärten,  mehr oder weniger säkularisierten und demokratisch und rechtsstaatlich  verfassten „Westen“  sind sie ja auch  weitgehend verwirklicht.  In archaischen,  nationalistischen  und religiös fanatisierten  Gesellschaften ist das Gegenteil zu beobachten.  Welche Fehlfunktionen sind hier am Werk? Welchen Anteil hat daran die  „menschliche Natur“?   Gibt es sie überhaupt noch? Hier streiten sich  soziologische und biologische  Denkrichtungen.   Eine fundierte, realistische Anthropologie,  Ergebnisse von  Genetik, Hirn- und Verhaltensforschung  könnten bei der  Ursachenforschung  hilfreich sein.  Ebenso  bis zu einem gewissen Grade fernöstliche  Praktiken wie  Meditation und Yoga, die in die Stille führen.  Aber wie könnten sie weitere Verbreitung finden? 
Abschließend  summierte der Referent  selbst noch in aller Kürze die  Einwände gegen das dargestellte „Weltethos“:   das Humane generell gibt es nicht,  ebenso wenig  die Menschheit als ein Subjekt  oder als ein Weltgewissen.  Es gibt nur einzelne Menschen,  die nicht nur vernunftgesteuert sind.  Die Diskrepanz von Wissen und Tun wird durch keine  Kultur oder Religion aufgehoben.  Das religiöse Verständnis ist  extrem unterschiedlich,  so entstehen ebenso extreme Grenzsituationen.  Eine einheitliche Weltgesellschaft ist nicht vorstellbar, ebenso wenig der Gedanke, dass sich alle Kulturen auf eine Abstraktum  verpflichten ließen. -  Die Problematik der Wahrheitsfrage  blieb offen und bildet das nächste Thema.                     sts

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