Nachschau 3.1.2020: Der Appell des Dalai Lama an die Welt Jürgen Staas
(Einleitung, S.11 - 15)
Thema am 3.1.20 war die Fortsetzung der Lesung des Dalai-Lama-Appels
"Ethik ist wichtiger als Religion". Zentrales Stichwort war die
Achtsamkeit. Sie bedeutet gleichzeitig auch Aufmerksamkeit, auf sich
selbst als Subjekt. Der Essay ist auch rein stilistisch von
Interesse. Auffällig ist die Häufung des modalen Hilfsverbs "müssen".
Der Text beinhaltet eine endlose Reihe von Imperativen dessen, was der Mensch tun müsste, vornehmlich um sich selbst zu ändern. Ja, was er tun müsste, das ist seit Jahrtausenden bekannt: ändere dich, tut Buße! Die Diskrepanz von Wissen und Tun, das ist das wahre
menschliche Dilemma. Wieweit ist der Mensch tatsächlich in der Lage,
sich selbst zu verändern? Die Forderung erinnert an Münchhausens
Versuch, sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Ein
neues, vertieftes Bewusstsein soll es richten. Wissenschaftliche
Erkenntnisse und Aufklärung haben einiges vermocht. Aber das
erfordert einen endlosen, mühevollen Bildungsprozess. Der Mensch wird
nicht als Christ, Kommunist oder Demokrat geboren. Erfahrungen
verblassen. Der Mensch lernt aus der Geschichte, dass der Mensch aus
der Geschichte nichts lernt. Mit dem Bild vom "animal rationale" ist
es nicht weit her. "La raison est dupe du coeur" (LaRochefoucauld).
Die Vernunft ist sehr begrenzt, Interessen, Emotionen, Triebe etc.
gewinnen immer wieder leicht die Oberhand.
Ethische Fragen sind nicht das Problem. Das Problem ist der Mensch
selbst. Gefragt ist zunächst eine realistische Anthropologie. sts
Vorschau 7.2.2020: Ethik im Sinne von "Weltethos" (Hans Küng),
Menschenrechte/Menschenpflichten Jürgen Staas
Zurückgegriffen werden kann dabei auf zwei frühere Runden: "Ein Abend mit Prof. Mokrosch" (5.2.16) zum Weltethos und "Menschenrechte/Menschenpflichten" (3.3.18.). Mokrosch beschäftigte zunächst die Frage, wieweit ein globales, interreligiöses Ethos überhaupt möglich wäre. Wäre es westlich, christlich, aufklärerisch geprägt oder auch asiatisch? Der Referent differenzierte dann nach
Normen, Werten und Tugenden. Normen werden durch Gebote und Verbote gesetzt, Werte etwa sind Freiheit, Gerechtigkeit, Autonomie. Tugenden etwa sind Respekt, Anstand, Empathie. Er verwies dann auf Hans Küngs "Weltethos". Ein Minimalkonsens könnte die Goldene Regel (Bergpredigt) oder Kants "kathegorischer Imperativ" sein. Wichtig wären dabei Prinzipien wie das der Gegenseitigkeit, der Gewaltlosigkeit, der "Achtung vor dem Leben" (A. Schweitzer). Diese würden die Todesstrafe kategorisch ausschließen. Toleranz und Wahrhaftigkeit wurden angesprochen, ebenso der Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden. - Schließlich kritische Einwände: Welche Fehlfunktionen biologisch-anthropologischer, ethologischer oder auch soziologischer Art stehen dem Ethos entgegen? Ist die Menschheit als einheitliches Subjekt oder Weltgewisssen überhaupt vorstellbar und realistisch? Die Diskrepanz von Wissen und Tun wird durch keine Kultur oder Religion aufgehoben.
Ethische Frgen stehen in engem Zusammenhang mit den Menschenrechten, wie sie in der amerikanischen Unabhängigkeitserkärung und durch die frz. Revolution begründet und formuliert werden. Sind sie religiös bezw. biblisch-christlich begründet oder doch eher säkulär der Aufklärung zu verdanken? Beide Aspekte lassen sich rechtfertigen. Die christlichen Kirchen allerdings haben lange gebraucht, sie anzuerkennen und sich zu eigen zu machen. - Lang ist die Liste der geschichtlichen Schritte hin zur modernen Demokratie: von der Magna Charta (1215) über Pufendorfs "Naturrecht" (1672), Habeas corpus (1679), bis zur Allgemeinen Erklärung der MR durch die UN 1948.- Als Ergänzung und Gegengewicht wurden 1997 die "Menschenpflichten" konzipiert. Sie decken sich weitgehend mit dem "Weltethos". -
Literatur: Martin Klingst: "Menschenrechte" (Reclam Reihe "100 Seiten")
ErgänzendeVorschau 7.2. 2020: Fragen zu einem "Weltethos" Jürgen Staas
"Ethik ist wichtiger als Religion". Zentrales Stichwort war die
Achtsamkeit. Sie bedeutet gleichzeitig auch Aufmerksamkeit, auf sich
selbst als Subjekt. Der Essay ist auch rein stilistisch von
Interesse. Auffällig ist die Häufung des modalen Hilfsverbs "müssen".
Der Text beinhaltet eine endlose Reihe von Imperativen dessen, was der Mensch tun müsste, vornehmlich um sich selbst zu ändern. Ja, was er tun müsste, das ist seit Jahrtausenden bekannt: ändere dich, tut Buße! Die Diskrepanz von Wissen und Tun, das ist das wahre
menschliche Dilemma. Wieweit ist der Mensch tatsächlich in der Lage,
sich selbst zu verändern? Die Forderung erinnert an Münchhausens
Versuch, sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Ein
neues, vertieftes Bewusstsein soll es richten. Wissenschaftliche
Erkenntnisse und Aufklärung haben einiges vermocht. Aber das
erfordert einen endlosen, mühevollen Bildungsprozess. Der Mensch wird
nicht als Christ, Kommunist oder Demokrat geboren. Erfahrungen
verblassen. Der Mensch lernt aus der Geschichte, dass der Mensch aus
der Geschichte nichts lernt. Mit dem Bild vom "animal rationale" ist
es nicht weit her. "La raison est dupe du coeur" (LaRochefoucauld).
Die Vernunft ist sehr begrenzt, Interessen, Emotionen, Triebe etc.
gewinnen immer wieder leicht die Oberhand.
Ethische Fragen sind nicht das Problem. Das Problem ist der Mensch
selbst. Gefragt ist zunächst eine realistische Anthropologie. sts
Vorschau 7.2.2020: Ethik im Sinne von "Weltethos" (Hans Küng),
Menschenrechte/Menschenpflichten Jürgen Staas
Zurückgegriffen werden kann dabei auf zwei frühere Runden: "Ein Abend mit Prof. Mokrosch" (5.2.16) zum Weltethos und "Menschenrechte/Menschenpflichten" (3.3.18.). Mokrosch beschäftigte zunächst die Frage, wieweit ein globales, interreligiöses Ethos überhaupt möglich wäre. Wäre es westlich, christlich, aufklärerisch geprägt oder auch asiatisch? Der Referent differenzierte dann nach
Normen, Werten und Tugenden. Normen werden durch Gebote und Verbote gesetzt, Werte etwa sind Freiheit, Gerechtigkeit, Autonomie. Tugenden etwa sind Respekt, Anstand, Empathie. Er verwies dann auf Hans Küngs "Weltethos". Ein Minimalkonsens könnte die Goldene Regel (Bergpredigt) oder Kants "kathegorischer Imperativ" sein. Wichtig wären dabei Prinzipien wie das der Gegenseitigkeit, der Gewaltlosigkeit, der "Achtung vor dem Leben" (A. Schweitzer). Diese würden die Todesstrafe kategorisch ausschließen. Toleranz und Wahrhaftigkeit wurden angesprochen, ebenso der Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden. - Schließlich kritische Einwände: Welche Fehlfunktionen biologisch-anthropologischer, ethologischer oder auch soziologischer Art stehen dem Ethos entgegen? Ist die Menschheit als einheitliches Subjekt oder Weltgewisssen überhaupt vorstellbar und realistisch? Die Diskrepanz von Wissen und Tun wird durch keine Kultur oder Religion aufgehoben.
Ethische Frgen stehen in engem Zusammenhang mit den Menschenrechten, wie sie in der amerikanischen Unabhängigkeitserkärung und durch die frz. Revolution begründet und formuliert werden. Sind sie religiös bezw. biblisch-christlich begründet oder doch eher säkulär der Aufklärung zu verdanken? Beide Aspekte lassen sich rechtfertigen. Die christlichen Kirchen allerdings haben lange gebraucht, sie anzuerkennen und sich zu eigen zu machen. - Lang ist die Liste der geschichtlichen Schritte hin zur modernen Demokratie: von der Magna Charta (1215) über Pufendorfs "Naturrecht" (1672), Habeas corpus (1679), bis zur Allgemeinen Erklärung der MR durch die UN 1948.- Als Ergänzung und Gegengewicht wurden 1997 die "Menschenpflichten" konzipiert. Sie decken sich weitgehend mit dem "Weltethos". -
Literatur: Martin Klingst: "Menschenrechte" (Reclam Reihe "100 Seiten")
ErgänzendeVorschau 7.2. 2020: Fragen zu einem "Weltethos" Jürgen Staas
(Vergl. Referat zum gleichen Thema von Prof. Dr. R. Mokrosch vom 5.2.2016)
Kann es eine
globale, internationale, überregionale,
interreligiöse Ethik überhaupt geben?
Wäre sie vorwiegend westlich,
durch Vernunft und Aufklärung bestimmt?
Welche Rolle würden östliche Traditionen spielen? Müssten Religionen Verluste ihrer typischen Ausprägungen
hinnehmen, d.h. würde ein solches
übergeordnetes Ethos ihnen die Spitze abbrechen, sie entkernen? Wie steht es um die Verbindung oder Trennung von Religion und
Staat? Welche Rolle spielen Prinzipien wie das der Gleichheit oder der
Würde der individuellen Person? Oder das
der allgemeinen Bildung ?. Schon dieser Fragenkatalog zeigt die ganze
Komplexität der Thematik auf. - Der
Referent nahm dann eine Differenzierung
der Orientierungsbereiche vor, d.h. er
unterschied Normen, Werte und
Tugenden. Normen etwa werden durch
Gebote und Verbote gesetzt. Werte sind
z.B. Freiheit, Meinungsfreiheit,
Autonomie, Gerechtigkeit,
Gleichberechtigung, Recht auf
Bildung. Und Tugenden sind Dinge
wie Anstand, Respekt, Disziplin,
Sensibilität, Empathie, Mitleid.
Was sollte maßgebend sein? Die
Diskussion ergab, dass die drei
Orientierungsbereiche keine Alternativen sein können, sondern alle Bestandteile einer universellen Ethik sein
müssten. Es wurde auf Hans Küngs „Weltethos“ verwiesen und auf das
Weltparlament der Religionen von 1993.
Ein Minimalkonsens könnte die sog.
„Goldene Regel“ sein, wie sie im
Matthäusevangelium formuliert
ist, oder Kants „kategorischer Imperativ“? Der
Volksmund drückt die Idee negativ aus:
„Was du nicht willst, dass man dir tue...“ -
Das Humanum, die Menschlichkeit,
sollte allgemeine Richtschnur sein, Gewaltlosigkeit, Achtung vor dem
Leben, wie sie Albert Schweitzer vertrat.
Im Prinzip schließt diese Richtschnur die Todesstrafe aus. Die Realität
zeigt sofort, wie schwierig sich die Akzeptanz darstellt. Gilt die Achtung vor dem Leben auch
gegenüber Pflanzen und Tieren? Wie weit
kann oder sollte Achtsamkeit gehen? Wie
steht es um Prinzipien wie
Solidarität und faires Wirtschaften? Eigentum verpflichtet. Was ist ein gerechtes Steuersystem? Kein Friede ohne Gerechtigkeit! Gerade
betont eine Stimme, das Problem
Israel/Palästina sei unlösbar.
- Toleranz und
Wahrhaftigkeit wurden angesprochen. Der aktuelle Streit um objektive Berichterstattung und
„Lügenpresse“ macht die Problematik der Medien in
Kunst, Literatur und Politik deutlich. - Die Kultur der gleichberechtigten Partnerschaft von Mann und
Frau sollte im Idealfall „schöpferisch“
sein. -
Kritische Diskussionspunkte: Im Prinzip sind alle dargestellten
Idealvorstellungen ja unstrittig.
Im immer noch christlich geprägten, aber aufgeklärten, mehr oder weniger säkularisierten und
demokratisch und rechtsstaatlich
verfassten „Westen“ sind sie ja
auch weitgehend verwirklicht. In archaischen, nationalistischen und religiös fanatisierten Gesellschaften ist das Gegenteil zu
beobachten. Welche Fehlfunktionen sind
hier am Werk? Welchen Anteil hat daran die
„menschliche Natur“? Gibt es sie
überhaupt noch? Hier streiten sich
soziologische und biologische
Denkrichtungen. Eine fundierte,
realistische Anthropologie, Ergebnisse
von Genetik, Hirn- und
Verhaltensforschung könnten bei der Ursachenforschung hilfreich sein. Ebenso
bis zu einem gewissen Grade fernöstliche
Praktiken wie Meditation und
Yoga, die in die Stille führen. Aber wie
könnten sie weitere Verbreitung finden?
Abschließend summierte der Referent selbst noch in aller Kürze die Einwände gegen das dargestellte „Weltethos“: das Humane generell gibt es nicht, ebenso wenig
die Menschheit als ein Subjekt
oder als ein Weltgewissen. Es gibt
nur einzelne Menschen, die nicht nur
vernunftgesteuert sind. Die Diskrepanz
von Wissen und Tun wird durch keine
Kultur oder Religion aufgehoben. Das
religiöse Verständnis ist extrem
unterschiedlich, so entstehen ebenso
extreme Grenzsituationen. Eine
einheitliche Weltgesellschaft ist nicht vorstellbar, ebenso wenig der Gedanke,
dass sich alle Kulturen auf eine Abstraktum
verpflichten ließen. - Die
Problematik der Wahrheitsfrage blieb
offen und bildet das nächste Thema. sts
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